Retrospektiven dienen in der agilen Welt dem Zweck, dass sich das Team jenseits des Arbeitsalltags die eigene Arbeitsweise anschaut und Wege findet, diese zu verbessern. Retrospektiven sind essenziell für produktives und zielorientiertes Arbeiten in einem komplexen Umfeld von heute, in denen Überraschungen normal sind und es so etwas wie Best Practices nicht mehr gibt. Trotzdem erleben viele Teams oft Retrospektiven, die langweilig und schmerzhaft sind, die kaum oder gar keine hilfreichen Ergebnisse liefern. Mit jeder Retro werden die Team-Mitglieder frustrierter. Beim Nachhaken kommt dann häufig raus: sie halten die Retrospektiven für reine Zeitverschwendung. Und – sie haben Recht!
Im folgenden Artikel möchte ich häufige Gründe anführen, die Retros zur Zeitverschwendung werden lassen und Tipps geben, wie sich das ändern lässt.
Diskussionen driften immer wieder ab, es wird um den heißen Brei herum geredet, einzelne Team-Mitglieder kapern die Diskussion für Ihre eigenen Themen? Willkommen in der Fokus-Falle! Am Ende der Retro hat man dann über alle Dinge geredet, über die man schon immer reden wollte und ist doch keinen Schritt weitern gekommen. Man hat keine wirklichen Probleme erörtert und Maßnahmen schon gar nicht definiert.
Eine Retrospektive braucht, genau wie andere Workshops, eine Vorbereitung und eine Moderation. Findet keine gute Moderation statt, wird das ganze zum Kaffeekränzchen und man kann sich die Zeit sparen. Im Idealfall orientiert man sich an den fünf Phasen, die eine Retrospektive durchlaufen sollte: Set the Stage (Ankommen), Gather Data (Themen sammeln), Generate Insights (Erkenntnisse gewinnen), Decide what to do (Entscheiden, was zu tun ist) und Closing (Abschluss). So bekommt man einen roten Faden durch die Retrospektive und es fällt leichter den Fokus zu behalten.
Manchmal nehmen Team-Mitglieder einfach gar nicht teil. Der Product Owner muss in dieses andere wichtige Meeting und es gibt da ja noch diesen Bug, der unbedingt gefixt werden muss. Teilzeit-Mitgliedern wird gesagt, sie sollen Ihre Arbeitszeit lieber mit „richtiger Arbeit“ verbringen.
Manchmal zeigt sich das Problem aber etwas subtiler: Manche Team-Mitglieder sind zwar physisch anwesend, beteiligen sich aber nicht. Sie sprechen Themen nicht an, bringen ihre Sicht der Dinge nicht ein, oder überlassen nur zu gerne den anderen die Bühne. Häufig wird so dann immer wieder an unwichtigen Themen gearbeitet, dringend nötige Konflikte, die unter der Oberfläche schlummern, werden nicht zu tage gefördert, sondern schwelen weiter im Verborgenen, oder Maßnahmen sind halbherzig und oberflächlich.
Manchmal liegt der Grund für fehlende Beteiligung darin, dass die Teilnehmer den Glauben an den Wert von Retrospektiven bereits verloren haben oder fühlen sich unsicher Dinge anzusprechen.
Es gibt viele Retrospektiven Formate die darauf ausgelegt sind jeden zu beteiligen. Ich persönlich habe sehr gute Erfahrungen mit LEGO Serious Play Retrospektiven gemacht aber auch mit anderen Formaten. Wichtig ist nur, dass das Format eine paritätische Beteiligung sicher stellt, so dass alle Stimmen gehört werden. Jedes Teammitglied sollte einen persönlichen Nutzen aus der Retrospektive ziehen. Sie müssen das Gefühl haben ihre Zeit in der Retrospektive sinnvoll investiert zu haben. Daran sollte mit dem gesamten Team gearbeitet werden.
Immer wieder kommt es vor, dass Vorgesetzte an Retrospektiven teilnehmen wollen um mitzubekommen, „was so los ist“. Auch wurde es schon gefordert, dass über die Retrospektive minutiöse Protokolle geführt werden sollten, die für jeden in der Organisation verfügbar sein sollten. Damit sollte erreicht werden, dass jeder über die Probleme der anderen informiert war und man sich nicht mehrfach um die gleichen oder ähnlichen Dinge kümmerte. Was tatsächlich erreicht wurde war, dass viele wirklich wichtigen Dinge in Retrospektiven einfach nicht mehr angesprochen wurden und damit auch keiner Lösung zugeführt werden konnten. Das Resultat waren nutzlose Wischi-Waschi-Retrospektiven die teilweise nur aus Folklore-Gründen abgehalten wurden.
Die agile Retrospektive muss ein sicherer Ort sein an dem nur Team-Mitglieder teilnehmen sollten. Um dem Bedürfnis gerecht zu werden, dass sich um grundsätzliche Probleme nicht doppelt gekümmert wird, kann man die entsprechenden Aktionspunkte veröffentlichen bzw. Sie sogar in das Sprint Backlog des nächsten Sprints aufnehmen und wenn es der Organisation wirklich ernst mit dem Wissensaustausch ist, kann sie die Einrichtung von Community Of Practices unterstützen. Dies ist ein wesentlich besserer Ansatz, als die Menschen zu zwingen die kompletten Inhalte von Retrospektiven mit der gesamten Organisation oder Ihren Vorgesetzten zu teilen.
Die Retrospektive ist zu Ende und Maßnahmen wurden definiert. Am nächsten Tag arbeiten wieder alle am nächsten Sprintziel und die beschlossenen Maßnahmen sind schon wieder in Vergessenheit geraten
Wenn beschlossene Maßnahmen nicht umgesetzt werden hat das zumeist zwei Gründe:
Die diskutierten Aktionen sind eher vage und allgemein formuliert. Aussagen wie: „Wir wollen mehr Tests schreiben“, „Wir wollen besser kommunizieren“ sind keine Lösungen sondern nur Problembeschreibungen in einer etwas anderen Form. Wie soll das Team beispielsweise erkennen, dass es tatsächlich mehr kommuniziert hat?
Everytime you’re on holiday you decide to change your life
Träumen und große Dinge verändern wollen ist gut. Allerdings ohne konkret erreichbare Maßnahmen bleiben es meistens doch nur Träume und Absichtserklärungen.
Die identifizierten Maßnahmen sollten so beschrieben sein, dass sie als “erledigt” oder „nicht erledigt“ bestimmt werden können. „Mehr Testen“ ist keine hilfreiche Aufgabe bei der man entscheiden kann ob es passiert ist oder nicht. „Erhöhung der automatischen Testabdeckung von x% auf y%“ hingegen ist mess- und umsetzbar. Die gewählten Ziele sollten nur in einem leistbaren Rahmen bleiben. Ziele bei denen die Erreichbarkeit von vorne herein utopisch ist wirken nur demotivierend.
„Da müssen sich die anderen mal drum kümmern“, „Das ist doch ein Thema für xy“. Die meisten Probleme lassen sich irgendwie auf Umstände ausserhalb des agilen Teams zurückführen. Es ist halt wesentlich einfacher Maßnahmen und Handlungsempfehlungen für andere auszusprechen. Wenn man nicht an sich selbst arbeiten möchte ist das immer bequemer und komfortabler. Leider wird sich dadurch in den meisten Fällen auch nicht wirklich etwas verändern (glückliche Umstände mal aussen vor gelassen).
Bei allen Retro-Maßnahmen, die das agile Team beschließt, muss das konkrete Handeln auf die Mitglieder des Teams beschränkt sein. Wenn es bspw. Probleme mit der Zuarbeit eines anderen Teams gibt, bringt eine Maßnahme, die das anderen Team umsetzen muss erfahrungsgemäß eher wenig. Aber es gibt immer eine Handlung die aus dem Team selber umgesetzt werden kann. Im konkreten Fall könnte das bspw. sein, einen Workshop mit dem anderen Team zu vereinbaren um das Problem gemeinsam zu erörtern und zu lösen.
Es gibt viele Gründe, wieso Team-Mitglieder die Retrospektive als Zeitverschwendung empfinden. Die beschriebenen Tipps sind erste Schritte, das zu ändern. Trotzdem kann es in jedem Team noch dutzende andere Gründe dafür geben. Jedes System ist anders. Die genauen Gründe können nur die Betroffenen benennen. Daher muss es das Ziel sein, diese Gründe zu erörtern und mit dem Team gemeinsam Alternativen erarbeiten. Dann steht erfolgreichen und wertvollen Retrospektiven nichts mehr im Weg!
Fühlen sich die Retrospektiven bei Ihnen auch manchmal wie Zeitverschwendung an? Brauchen Sie mal Wieder frische Impulse für neue, interessante Formate?
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Bild von theTrueMikeBrown auf Pixabay
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