Das der Weg zu erfolgreichen, neuen Produkten im Unternehmen steinig ist und manchmal richtig fiese Schlaglöcher warten, das hat sich schon rumgesprochen. Auch, dass wir häufig mal einen kompletten „U-Turn“ machen müssen,  um im Innovations-Prozess mit neuem Anlauf wieder nach vorne zu gehen, ist keine Neuigkeit. Worüber interessanterweise noch wenig gesprochen wird, sind die mächtigen „Felsbrocken“, die wir uns gerne selbst in den Weg legen und die ein Weiterkommen in der kreativen Zusammenarbeit von Teams fast unmöglich machen.

Innovations-Blockaden sind wie ein Felsbrocken auf der Straße: Weiterkommen fast unmöglich.

Von diesen „Felsbrocken“ gibt es einige. In meiner Heimat, dem Westerwald, sogar sehr viele. Im Unterschied zu den echten Steinen sind Innovations-Blockaden aber leider nicht auf den ersten Blick sichtbar. Deswegen wollen wir sie transparent machen. Und damit Denkanstöße und Impuls für mehr wirksame Innovation im Unternehmen geben.

In diesem Blog-Beitrag geht es um einen solchen „Felsbrocken“. Es geht um individuelle Boni-Systeme, also um Anreiz-Systeme in der Art wie „wenn du dies tust (meistens das, was ich will), bekommst du im Gegenzug jenes (meistens mehr Geld)“. Individuelle Zielvereinbarungen, die mit monetären Anreizen verbunden sind, sind heute immer noch weit verbreitet.

Wir sind davon überzeugt, dass Boni-Systeme in einem Innovations-Projekt nicht funktionieren.

Warum das so ist, das wollen wir anhand eines sehr alten wissenschaftlichen Experiments aufzeigen, das der Gestaltpsychologe Karl Duncker 1945 entwickelt hat, und das der amerikanische Schriftsteller Dan Pink in einem sehr kurzweiligen TED-Talk erklärt: Das Kerzen Problem.

In diesem Experiment sollen die Teilnehmer des Versuchs eine brennende Kerze an einer  Wand befestigen, ohne dass dabei Wachs auf den Boden tropft. Für die Lösung des Problems stehen ihnen die Kerze, eine Packung Streichhölzer und eine Schachtel mit Reißzwecken zur Verfügung. Einige Teilnehmer haben daraufhin versucht, die Kerze mit den Reissbrettstiften an der Wand zu befestigen. Das funktioniert nicht. Andere haben die Kerze mit den Streichhölzern angezündet und den schmelzenden Wachs genutzt, um die Kerze damit an der Wand zu befestigen. Eine schöne Idee. Funktionierte aber auch nicht.
 

Innovations-Prozesse brauchen neue Denkweisen.

Nach etwa 5-10 Minuten kamen die meisten Versuchs-Teilnehmer schließlich auf die Lösung:  Die Verpackung der Reißzwecken lässt sich als Kerzenhalter nutzen. Sie kann mit den Reißzwecken an der Wand befestigt werden. Eigentlich einfach, oder? Nur funktioniert unser Gehirn so nicht. Es orientiert sich an Denkgewohnheiten, die in der Vergangenheit häufig erfolgreich waren. Wir sind „funktional fixiert“, das heißt wir nehmen die Verpackung der Reißzwecke nur als Verpackung war und sehen nicht sofort, dass sie sich auch als Kerzenhalter und Wandbefestigung nutzen lässt. Und diese funktionale Fixiertheit ist im Innovations-Prozess hinderlich. Gerade hier wollen wir ja „out-of-the-box“ denken und bestehendes neu miteinander verknüpfen.
 

Und was hat das alles mit individuellen Boni zu tun?

Eine ganze Menge. So hat zum Beispiel Sam Glucksberg, ein ehemaliger Wissenschaftler an der Princeton University 1962 das Kerzen-Experiment verwendet, um Erkenntnisse über die Wirksamkeit von Incentives zu sammeln. Er hat die Teilnehmer an dem Experiment in einem Raum versammelt  und sie in zwei Gruppen aufgeteilt. Die eine Gruppe wurde einfach instruiert, die Kerze an der Wand zu befestigen. Der anderen Gruppe hat er „zwischen 5 und 20 $ versprochen, in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit, in der das Problem gelöst wird. Das war zum damaligen Zeitpunkt 1962 für Studenten ein echter Anreiz.
 

Die spannende Frage: Wieviel schneller war die Gruppe, die incentiviert wurde?

Die erstaunliche Antwort: Sie brauchte im Durchschnitt dreieinhalb Minuten länger.

Das Experiment wurde mehrfach wiederholt und immer wieder bestätigt: Die finanzielle Belohnung dafür, selbst kreativ und out-of-the-box zu denken, hat nicht funktioniert. Sie hat sogar das Gegenteil bewirkt. Und noch eine interessante Beobachtung: In dem Moment, wo der gleiche Versuch stattfand mit Reißzwecken, die außerhalb ihrer Verpackung lagen, also, wo es recht einfach war, das Problem zu lösen, da waren die incentivierten Teilnehmer tatsächlich schneller als die nicht incentivierten Teilnehmer.

Wenn wir uns im Innovations-Umfeld bewegen, sind wir auf genau diese kreative, neue Denkweisen angewiesen. Sie sind der Nährboden, auf dem neue Angebote und Produkte entstehen können. Und das Experiment zeigt: Intensivierung wirkt sich negativ auf diese Fähigkeiten aus. Damit aber nicht genug. Die Incentivierung bringt weitere Nachteile für die Innovations-Arbeit mit sich.

 

Allen voran, verhindern individuelle Boni-Zahlungen echte Kooperation. Und die ist essentiell wichtig im Innovations-Prozess.

Aus unserer Sicht ist Leistung in einem komplexen Umfeld nicht individuell messbar. Sie entsteht durch das Zusammenwirken verschiedener Menschen und unter ganz vielen Einflussfaktoren in einem bestimmten Kontext – der sich jederzeit ändern kann. Für die Erreichung der allermeisten Ziele, vor allen Dingen anspruchsvoller Ziele braucht man Teams. Wenn man hier Boni für individuelle Leistungen zahlt, verhindert man Kooperation – und fördert eine individualistische Kultur.

Ich muss eine individuelle Leistung, die ich bonifizieren möchte, erstmal messen können. Wie kann ich das tun, wenn ich zum Beispiel einen Vertriebsmitarbeiter für ein verkauftes Produkt belohnen möchte? Wie hoch ist sein eigener Anteil am Vertragsabschluss? Was ist mit seiner Assistentin, die ihm den Rücken frei hält? Und mit den Entwicklerteams, die das Produkt entwickelt haben, dass sich einfach gut verkaufen lässt. Und der Marketing-Abteilung, die es geschafft hat, das Produkt überhaupt erst ins Sichtfeld des Kunden zu rücken.
 

Boni spornen nicht zu mehr Leistung im Innovation-Prozess an. Sie spornen dazu an, den Bonus zu bekommen.

Wenn mir für die Erreichung eines bestimmten Ziels eine beachtliche Summe in Aussicht gestellt wird, dann ist es auch nur natürlich und menschlich, dass mein erstes Interesse dem Ziel gilt, den Bonus zu bekommen. Und dafür gehe ich außerdem den Weg des geringsten Widerstands. Das heißt, ich wähle den schnellsten Weg zur Belohnung. Die eigentliche Wertschöpfung kann dabei schnell in den Hintergrund treten. Wenn das mal zu Lasten eines anderen Kollegen und dessen Projekt, oder zu Lasten der Moral geht, dann drücke ich eben mal ein Auge zu. Auch wenn ich mich dabei nicht wirklich wohl fühle. Menschen arrangieren sich mit dem System, das ihnen diese Vorgaben macht. Wem könnte man daraus einen Vorwurf machen?
 

Boni-Verhandlungen lenken den Blick vom Markt und produzieren Business-Theater

Letztendlich ist das Vereinbaren der Boni auch wie ein Spiel. Wenn die Zielvereinbarung als „same procedure as every year“ wieder ansteht, überlege ich mir als Mitarbeiter, welche Ziele ich proaktiv vorschlagen könnte, für die ich relativ sicher einen Boni bekomme. Habe ich zum Beispiel noch ein paar alte Konzepte in der Schublade, die ich im Zielprozess als „Neuheit“ verkaufen könnte? Oder stapele ich bei der Umsatzprognose einfach tief, damit ich sicher gehen kann, dass die Umsatz-Ziele, die mir „aufgedrückt“ werden, auch realistisch erreichbar sind? Denn der Chef wird ja eh noch eine Schippe drauf legen. Und er vermutet ja eh, das ich tiefstapele. Wenn mal ein richtig gutes Jahr ist, bin ich auch trotzdem besser vorsichtig damit, zu viel Umsatz  zu machen – weil das dann die Erwartungen an das nächste Jahr ins Unermessliche steigert. Business Theater at it´s best. Und wieviel Zeit stecken wir in diesen Prozess? Wie schön wäre es, diese Zeit für echte Arbeit zu nutzen!
 

Boni-Systeme machen das Unternehmen träge für Veränderungen

Kritisch wird es auch, wenn etwas wirklich einschneidendes passiert, auf dass ich reagieren muss: eine Überraschung, wie z. B. die Corona-Pandemie, die wir gerade erleben dürfen. Die Kunst im Innovation-Prozess ist es, das Unternehmen auf den Umgang mit Überraschungen vorzubereiten. Die wichtigsten Fragen müssten dann lauten „Wie können wir gemeinsam eine Lösung finden für diese außergewöhnliche Situation?“ „Was müssen wir an unserem Angebot oder unserer Arbeitsweise verändern“?“ Wenn ein Teil meines Einkommens aber am Jahresende in Form eine variablen, zielgebundenen Bonus ausgezahlt wird, stellt sich mir möglicherweise zunächst die Frage „Wie kann ich trotz dieses Ausnahme-Szenarios meinen Bonus bekommen?“
 

Last but not least stellen individuelle Boni ein Misstrauens-Votum gegenüber den Mitarbeitern dar:

Mir wird Gehalt vorenthalten, das ich erst nach erbrachter Leistung bekomme. Man will sicher gehen, dass ich diese Leistung auch erbringe. Dieser Teil wird dann Bonus genannt. Man könnte ihn aber auch „Misstrauens-Nachzahlung“ nennen. Das durchschauen Menschen sehr schnell und dann wird dieser Bonus auch nicht mehr motivieren.
 

Fazit

Wenn Ihr die Innovations-Fähigkeit Eures Unternehmens verbessern wollt, findet Wege, die individuellen Bonis zukünftig wegzulassen. Mit weglassen meinen wir nicht, sie ersatzlos zu streichen. Denn wenn sich das Unternehmen den Boni nicht leisten könnte, würde es ihn kaum in Aussicht stellen können. Fakt ist: Im Innovations-Prozess sind sie ein echter „Felsbrocken“, der den Weg zu mehr Team-Arbeit, Kooperation und Kreativität blockiert. Wenn ein Bonus ausbezahlt wird, dann sollte er überraschend kommen, zum Beispiel in Form eines ernstgemeinten Dankeschöns für eine tolle, gemeinsam erbrachte Leistung.