(Agiles) Familienleben während der Corona-Krise – ein Erfahrungsbericht

(Agiles) Familienleben während der Corona-Krise – ein Erfahrungsbericht

Während der Corona-Krise wurden wir, wie viele andere Familien auch, von heute auf morgen vor eine neue Herausforderung gestellt. Wir mussten nicht nur unsere (Vollzeit-)Jobs anders machen und dafür Lösungen finden sondern plötzlich waren wir auch noch Teilzeitlehrer, Spielkameraden, Köche und Haushaltshilfen. Hier möchte ich gerne von unseren Erfahrungen berichten, wie uns agile Praktiken bei diesen Herausforderungen geholfen haben.

Aber wer sind wir eigentlich? Da ist zuerst mal meine Tochter Hannah, 7 Jahre alt, die seit dem Sommer in die Schule geht. Dann noch meine Frau Anne, Product Ownerin bei einem Bildungsanbieter und ich.

Wegfallende Unterstützung

Unser bisheriges Familienleben war unter der Woche von den beiden Vollzeitjob der Eltern geprägt. Unsere Tochter wurde nach der Schule von den Omas betreut bis wir beide nach Hause kamen. Zur Entlastung haben wir noch eine Haushaltshilfe, die sich um alle möglichen Dinge rund um den Haushalt kümmert.

Durch den Lockdown im Zuge der Corona-Krise fiel unsere Unterstützung quasi komplett weg. Die Omas wollten wir dem Risiko nicht aussetzen. Konsequenterweise war es auch nicht sinnvoll, wenn unsere Haushaltshilfe hier herumwuselt während wir uns im Haus aufhalten. Außerdem standen wir vor der Aufgabe aufgrund der Schulschließung zu Teilzeitlehrern zu werden.

Logistische Herausforderung: Ein Arbeitszimmer für Zwei

Unsere beiden Jobs können wir dankenswerterweise komplett Remote ausüben und wir befinden uns nicht in einer existenzbedrohenden Situation. Der Umstand, dass wir nur ein Arbeitszimmer für zwei Personen haben könnte man zum Luxusproblem degradieren. Wer aber schon mal über mehrere Tage auf Couch oder Küchenstuhl gearbeitet hat, merkt schnell, dass das für den Rücken nicht die besten Arbeitsplätze sind.

Wir essen plötzlich nur noch zu Hause

Normalerweise essen wir drei mittags woanders. So waren unsere Abendessen bisher durch geprägt, dass es nur noch Kleinigkeiten gab. Wir haben an den meisten Abenden nicht extra gekocht. Kochen fand bei uns meistens am Wochenende statt. Ich koche tatsächlich ganz gerne, möchte das dann aber eigentlich auch mit Muße machen. Unsere Geschmäcker gehen auch immer etwas auseinander. Bei zweimal kochen in der Woche war es auch zu verschmerzen wenn wir pro Mahlzeit 2 verschiedene Essen gekocht haben.

Neue Herausforderungen

Durch die besonderen Umstände der Corona-Krise standen wir jetzt vor folgenden Herausforderungen:

  1. Hannahs Lernprogramm musste organisiert werden
  2. Wir mussten jeden Tag kochen und hier wurde es schnell unpraktikabel mit unserem bisherigen Modus weiter zu machen.
  3. Eine Lösung für unser Arbeitszimmer musste her
  4. Wir brauchten einen Modus für unser Familienleben, der Hannah gerecht wird und wir sie nicht nur verwahren
  5. Abends nach der Arbeit mal eben schnell was einkaufen zu gehen fiel auch flach. Es macht aus unserer Sicht keinen Sinn sich abzuschotten und dann jeden Tag im Supermarkt herumzuhüpfen.

Wie wir uns diesen Herausforderungen stellen

Wir haben in den ersten Tagen des Lockdowns ganz viele Dinge gelernt, die so nicht mehr funktionieren. Meine Frau und ich sind beide beruflich mit Agilität und den entsprechenden Methoden vertraut. Wir haben angefangen konsequentes „Inspect & Adapt“ zu betreiben und unsere methodische Kompetenz aus dem beruflichen in den privaten Alltag gebracht.

Agiles Essens-Planning

Unsere erste Maßnahme war, dass wir alle drei gemeinsam ein Essensplanning für die kommende Woche durchgeführt haben. Dabei hat jeder für sich Dinge notiert, die er in der kommenden Woche gerne essen würde. Im Anschluss haben wir dann alles gesammelt und gemeinsam ein Essens-Wochen-Backlog erstellt. Dabei haben wir Vorschläge entweder komplett übernommen oder einzelne Aspekte von verschiedenen Vorschlägen kombiniert und etwa neues kreiert.

Essens-Wochen-Backlog

Am Ende dieses Essensplanning hatten wir dann tatsächlich einen Plan, der für uns alle passte. In der ersten Woche haben wir danach noch alle Mahlzeiten auf die Wochentage verteilt. Während der Woche erwies sich das aber schon als unpraktisch. Wir haben während der Planung ein paar Synergieeffekte und Haltbarkeiten von frischen Lebensmitteln nicht bedacht. Beim nächsten Mal haben wir dann nur noch ein Essens-Wochen-Backlog erstellt. Morgens haben wir dann entschieden, was wir am jeweiligen Tag kochen wollen (aus den gemeinsam erarbeiteten Menüs). Überraschenderweise haben wir es tatsächlich geschafft, gemeinsame Mahlzeiten zu essen und nicht mehr für jeden ein Einzelgericht zu kochen.

Einkaufen

Basierend auf unserem Essens-Wochen-Backlog versetzen wir uns sogar in die Lage unseren kompletten Wocheneinkauf auf einmal zu erledigen. Das war nicht nur effizienter sondern tatsächlich auch kostengünstiger. Da wir eben nicht mehrmals einkaufen waren und dann jeweils noch irgendetwas gekauft haben, was nicht wirklich notwendig war.

Agiles Home-Schooling

Die schulischen Verpflichtungen wurden im Home-Schooling erledigt. Einen virtuellen Unterricht gab es nicht. Leider wurde unser Angebot, die Schule hier organisatorisch und technisch zu unterstützen nicht angenommen. Die Aufgaben der folgenden Woche wurden von der Klassenlehrerin am Wochenende verschickt. Die Umsetzung erfolgte dann selbständig organisiert durch die Schüler und Eltern.

Eine Woche sah dann ungefähr so aus:

Hannah hatte verständlicherweise keine Lust, an einem Tag ausschließlich Mathe und an einem anderen Tag nur Deutsch zu machen. So haben wir bei der Organisation leider recht sehr schnell den Überblick verloren was noch offen und was erledigt war.

Transparenz, Motivation und und WiP-Limits

Wir brauchten also mehr Transparenz. Daher haben wir uns dazu entschlossen auf Arbeitsblatt- bzw. -Seiten-Ebene jeweils eine Karte zu schreiben. Diese ganzen Karten hingen wir an die Wand und ordneten sie ihrem jeweiligen Arbeitsstatus zu. Wir hatten also schnell ein Kanban Board mit den Spalten „Offen“, „In Arbeit“ und „Fertig“. Hannah konnte sich fortan sogar selber organisieren und nahm sich die Aufgaben, die sie als nächstes angehen wollte.

Wir hatten uns jeden Tag zwei Stunden gemeinsame Lernzeit vorgenommen, in denen wir zusammen an ihren Aufgaben arbeiten wollten. Hannahs Motivation ihre Hausaufgaben zu erledigen ist schon dadurch signifikant gestiegen, dass sie gerne alle Karten in die Fertig Spalte hängen wollte. Sie wollte dann auch zwischen unseren gemeinsamen Lernzeiten weiter machen. Um zu überprüfen ob sie alles richtig gemacht hat, machte sie den Vorschlag, eine “Kontrolle” Spalte für diese Aufgaben einzuführen. Hier landeten alle Aufgaben, die sie außerhalb unserer gemeinsamen Lernzeit bearbeitet hat und gerne von uns überprüft haben wollte.

Nach ein paar Tagen stellte sie mir dann die Frage, was denn passieren würde, wenn sie jetzt an allen noch offenen Aufgaben anfangen würde zu arbeiten und keins davon fertig machen würde. Sie fand dann, dass das ja total unsinnig sei und nicht funktionieren würde. Daraufhin habe ich ihr eine kurze Erklärung von WiP Limits gegeben (Work in Progress oder Process). Gemeinsam haben wir ein Limit von 2 Aufgaben in der „In Arbeit“ Spalte und von 3 in der „Kontrolle“ Spalte festgelegt.

Innerhalb von zwei Tagen haben wir so mit unserer 7-jährigen Tochter durch den Einsatz agiler Praktiken den Lernprozess optimiert, die Motivation gesteigert und Hannahs Selbstorganisation bzgl. Ihrer Schulaufgaben gefördert. Zusätzlich wussten wir alle, was in dieser Woche noch zu Lernen ist.

Lern-Kanban-Board

Nicht so geliebte Aufgaben

Zum Ende der Woche stellten wir dann fest, dass es doch die ein oder andere Aufgabe gibt, die doch nicht so cool und spannend ist. Diese Aufgaben aber auch erledigt werden müssen. Desto weniger offene Aufgaben zur Verfügungstanden, desto mehr rückten diese Aufgaben in den Foku und die Motivation sank wieder ein Stück.

Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, haben wir uns gemeinsam auf ein Punktesystem geeinigt. Allen Aufgaben haben wir 1-3 Punkte gegeben (je nach Komplexität, zeitlichem Aufwand und Interesse). Diese Punkte konnte sie durch das Abschließen der Aufgaben sammeln. Bei jeweils 50 Punkten kann sie sich eine Belohnung aussuchen (ein Spiel, Buch, Bügelperlen o.ä.). Dieses Experiment läuft aktuell noch, über unsere Erfahrungen werde ich hier weiterhin berichten.

Retrospektiven und andere Aufgaben

Wie gesagt, wir lernten in den ersten Tagen einige Dinge, die nicht so funktionierten, wie wir gehofft hatten. Wir stellten bspw. fest, dass es nicht funktioniert Familie und Job unter einen Hut zu bekommen, wenn wir uns keine feste Tagesstruktur geben. Wir haben uns wieder gemeinsam zusammen gesetzt und eine grobe Tagesstruktur erarbeitet. Diese Struktur beinhaltete Zeiten für Lernen, Spielen, Arbeit und gemeinsame Mahlzeiten.

Zusätzlich haben wir ein Planning für alle anstehenden Arbeiten rund um den Haushalt eingeführt. Gleichzeitig machen wir jedes Wochenende eine Retrospektive um zu schauen, welche Dinge funktioniert haben und was wir anders machen können. An all diesen Aktivitäten sind wir drei gemeinsam beteiligt und agieren auf Augenhöhe. Dinge die für Hannah nicht funktionieren thematisieren wir genauso wie bspw. unsere Aufteilung des Arbeitszimmers. Wir versuchen bei allem eine gemeinsame Lösung zu finden.

Abschließende Worte

Wir sind wahrscheinlich immer noch weit davon entfernt einen Idealzustand zu erreichen. Manchmal ist unser Zusammenleben ohne physischen Kontakte nach Außen extrem fordernd. Wir können Hannah nicht immer das bieten, was ihr die Schule und ihre Freunde bieten könnten. Manchmal zoffen wir uns und gehen uns gegenseitig auf die Nerven. Manchmal ist uns einfach nach Heulen zumute. Ich hoffe ab und an, einfach aufzuwachen und festzustellen, dass die Corona-Krise nur ein mieser Traum war. In anderen Momenten denke ich, wie unglaublich glücklich ich bin, endlich mehr Zeit mit meiner Familie verbringen zu können. Ich bin dankbar, dafür was wir haben und dass es uns wahrscheinlich wesentlich besser geht als vielen anderen Familien. Wir werden auf jeden Fall weiterhin versuchen unser Zusammenleben jeden Tag ein bisschen besser und angenehmer für uns alle zu gestalten.

Ich weiß aktuell nicht, was uns die (nähere) Zukunft bringen wird, was ich aber weiß ist, dass ich einiges anders machen werde, wenn diese ganze Geschichte vorbei ist. Jeden Tag zwei Stunden im ICE zu hocken oder erst am späten Abend nach Hause zu kommen weil ich in unnötigen Präsenzmeetings gesessen habe… Ich weiß nicht, was mich bisher geritten hat, dass ich diese Dinge gegen Zeit mit meiner Familie eingetauscht habe!

Ich hoffe, ich konnte Dich mit meinen Erfahrungen ein klein wenig inspirieren. Vielleicht konnte ich Dich davon überzeugen, die ein oder andere agile Praktik in deinen Familienalltag zu inspirieren. Wenn ich das geschafft habe, würde ich mich freuen, wenn Du das hier über Deine Social Media Kanäle weiter verbreiten würdest. 

Am Ende ist alles gut, und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es auch noch nicht zu Ende!

In diesem Sinne: Bleib gesund!

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